Hier findest Du ein paar ausgewählte Achtsamkeitsübungen zum Ausprobieren.
Diese Übungen stammen aus meinem Buch Reha to go!.
Die Übung als Achtsamkeitsflussplan:
"Gehen ist ein kontrolliertes Vorwärtsfallen, ein Prozess, den zu meistern wir lange Zeit gebraucht haben, und jetzt halten wir es für dermaßen selbstverständlich, dass wir ganz vergessen haben, wie wunderbar es im Grunde ist." (Jon Kabat-Zinn [JKZ])
Bewegung und Achtsamkeit in einem - wenn das kein Doppelgewinn ist, was dann? Heute kannst Du also achtsam gehen. Wie oft bewegt man sich von einem zu einem anderen Ort, ist mit den Gedanken sonstwo - nur nicht dort, wo die Füße gerade sind. Das ändern wir heute.
Idealerweise bist Du draußen, hast Platz und kannst Dich auf die Übung konzentrieren, ohne ständig auf Hindernisse und andere Menschen achten zu müssen. Vielleicht kannst Du diese Übung sogar in der Natur machen. Am besten wäre es, wenn Du keine Taschen oder Rucksäcke tragen müsstest. Es ist natürlich auch mit Gepäck möglich, diese Übung zu machen - die feinen Reaktionen Deines Körpers auf wechselnde Belastungen sind wahrscheinlich ohne Gepäck besser zu spüren.
Bleibe kurz stehen für den Anfang.
Atme tief und bewusst ein- oder zweimal ein und aus. Beruhige Deinen Körper und finde Dich im Raum zurecht.
Spüre Deine Füße, die Dich mit dem Boden verbinden. Kannst Du den Druck Deines Körpers auf den Fußsohlen wahrnehmen? Spürst Du noch etwas anderes, zum Beispiel ein Kribbeln, Pochen oder Fließen in den Füßen?
Nun kannst Du gerne den ersten Schritt machen. Sei nicht zu schnell, sondern mache den ersten Schritt aufmerksam und gezielt. Versuche wahrzunehmen, was Dein Körper vor dem ersten Schritt macht. Verlagert er
Deinen Schwerpunkt auf das Standbein und entlastet er ganz automatisch das Bein, das den Schritt macht?
Erhöhe Dein Tempo so, dass Du gut gehen kannst, ohne ständig auf Dein Gleichgewicht achten zu müssen.
Und dann beobachte einen Deiner Füße.
Beobachte, wie sich der Fuß permanent auf die unterschiedliche, dynamische Belastung einstellt. Kannst Du spüren, welcher Teil Deines Fußes zuerst auf den Boden kommt, wie er sich abrollt und Deinem Körper
dabei hilft, das Gleichgewicht beim Gehen zu halten?
Nimm Details Deiner Fußarbeit wahr. Wie fühlen sich die Zehen an? Wie der Ballen? Spürst Du die Veränderungen an der Fußsohle und dann in der Ferse? Kannst Du Unebenheiten des Boden wahrnehmen, die Beschaffenheit?
Gerne kannst Du den Fuß wechseln und nun den anderen genauer beobachten.
Wandere mit Deiner Aufmerksamkeit nun etwas weiter nach oben und nimm ein Bein wahr. Bleibe für die nächsten Schritte bei diesem Bein und beobachte, wie sich die Muskeln in Deinem Bein anspannen und verändern.
Wo kannst Du die abwechselnde Anspannung und Entspannung deutlich wahrnehmen? Wo spürst Du sie nur undeutlich?
Gerne kannst Du dann die Aufmerksamkeit auf Dein anderes Bein richten und dort die Veränderungen bewusst wahrnehmen.
Versuche nun ein paar Schritte mit einer anderen Laufart zu gehen - sofern Dir das möglich ist und Du das ausprobieren möchtest. Versuche beispielsweise so zu Laufen, als wärst Du barfuß unterwegs. Setze also den Ballen zuerst auf, statt der Ferse oder der Sohle.
Wie verändert sich Deine Wahrnehmung? Wie fühlt sich Dein Körper nun an?
Sollte es Dir gefahrlos möglich sein, dann ziehe Deine Schuhe und Strümpfe aus und laufe tatsächlich barfuß.
Wende dabei aber Deine Aufmerksamkeit vor allem dem Sehen zu und nimm mögliche Gefahren für Deine Füße wahr. Auch das ist eine Achtsamkeitsübung.
Nach einer genauen Wahrnehmung Deiner Füße und Beine kannst Du nun Deine Arme beobachten. Wie verhalten sich Deine Arme, wenn Du sie ganz so sein lässt, wie sie sind. Beobachte, wie sie sich selbst bewegen und ihren Takt finden.
Nimm wahr, wie sie schwingen und einen Ausgleich zu der Bewegung der Füße finden. Sie sorgen auch dafür, dass Du nicht aus dem Gleichgewicht kommst.
Du kannst nun etwas experimentieren, wenn Du das möchtest. Halte die Arme still, zum Beispiel dadurch, dass Du die Hände hinter dem Rücken verschränkst oder die Hände wie im Kinhin ineinander legst (siehe ).
Wie ändert sich Deine Bewegung? Welche Körperteile leisten jetzt mehr Arbeit als vorher?
Deine Hüfte ist beim Gehen ein zentraler Teil Deines Bewegungsapperates. Wende Deine Aufmerksamkeit der Hüfte zu. Wie bewegt sich diese? Verschiebt sie sich? Pendelt sie von links nach rechts nach links? Wippt sie? Dreht sie sich?
Spüre hinein in die Hüfte und erlebe, wie sie sich Deiner Bewegung anpasst.
Solltest Du Barfuß gehen oder in Barfußschuhen, dann kannst Du den Boden unter Deinen Füßen deutlich wahrnehmen. Wende Deine Aufmerksamkeit dorthin.
Spürst Du den Boden? Unebenheiten? Einzelne Steinchen oder andere Objekte, um die sich Deine Fußsohle legt? Kannst Du die Beschaffenheit des Bodens spüren? Ist ein Unterschied zwischen Pflastersteinen, Teerstraße, Rasen, Waldboden oder anderen Oberflächen, die Du belaufen kannst, zu spüren?
Ergründe die Natur des Bodens nur durch Dein Spüren. Was nimmst Du wahr?
Nun wende Dich Deinen anderen Sinnen zu und achte auf die Geräusche, die Du wahrnehmen kannst? Entstehen Geräusche durch die Gehbewegung Deines Körpers, die Du hören kannst? Schritte? Knirschen? Vielleicht hörst Du Dich selbst atmen?
Verweile im Hören Deiner eigenen Geräusche.
Nimm die Geräusche um Dich herum wahr. Hörst Du den Wind? Wo hörst Du ihn? In den Blättern der Bäume? Oder streift er Dein Ohr und Du hörst dieses Geräusch?
Achte auf die anderen Geräusche, die Du hören kannst.
Nimm diese einzeln wahr und verweile etwas bei ihnen.
Spürst Du Temperatur? Kälte oder Wärme? Wo spürst Du diese und welche einzelnen Signale sendet Dir Dein Körper dabei? Bekommst Du vielleicht eine Gänsehaut? Dann fühle in diesen Vorgang hinein, versuche die einzelnen Ereignisse zu spüren, die dabei ablaufen.
Kannst Du Wind auf Deiner Haut spüren? Wie fühlt er sich an? Was passiert mit Deiner Haut, wenn Wind darauf trifft?
Nun stelle Deinen Fokus weit, mache ihn auf, konzentriere Dich nicht mehr auf einzelne Wahrnehmungen, sondern versuche die Gesamtheit der Wahrnehmungen zu erfassen. Gib Dich den Sinneseindrücken hin und bleibe trotzdem aufmerksam beim Gehen.
Zuletzt spüre in Dich hinein und versuche Deine Emotionen wahrzunehmen? Wie fühlst Du Dich? Wie wirkt sich diese Bewegung auf Deine Stimmung aus, auf Dein aktuelles Gefühl?
Fühlst Du Dich bewegt? Im Äußeren wie im Inneren? Beschwingt? Freudig? Oder belastet und angestrengt?
Und nun gehe weiter, so wie es Dir gefällt und möglich ist. Verweile gerne in der Wahrnehmung, die Dir gerade gut tut.
Kehre dann langsam zurück, wenn Du das möchtest. Du kannst dazu ein-, zweimal tief ein- und ausatmen. Spüre dieser Meditation nach und genieße das komplexe Zusammenspiel Deines Körpers beim Gehen. Ist das nicht faszinierend?
Auch beim Joggen / Laufen kannst Du Dich in Achtsamkeit üben. Du kannst die oben beschriebene Übung entsprechend ausprobieren, wenn Du Dich schneller bewegst.
Bei mir klappt das nicht so gut, da ich durch den Fokus auf meinen Fuß beginne diesen anders zu bewegen. Zumindest wenn ich jogge. Genauso beeinflusst meine Beobachtung beim Joggen auch meine Arme, Beine oder meine Atmung. Daher lenke ich meinen Fokus beim Joggen auf den Weg einige Meter vor mir und lese die Oberfläche des Bodens. Hier finde ich einen Fokus, der mir achtsame Bewegung ermöglicht. Gerne spüre ich auch, wie die Luft an meinem Körper vorbeiflïeßt, meinen Bewegungen einen gewissen Widerstand gibt und ich ein strömendes Gefühl auf der Haut und an den feinen Härchen erlebe.
Und was hilft Dir, achtsam in Bewegung zu sein?
Einatmen... ausatmen... einatmen... ausatmen...
Du tust es ganz automatisch, ständig und alles andere als gleichmäßig. Das ist ganz normal und richtig so. Je nach Bedarf, atmest Du flacher, tiefer, länger oder kürzer.
In der Achtsamkeit ist der Atem sehr praktisch, denn Du hast ihn immer dabei, er funktioniert ganz automatisch und Du kannst ihn beobachten.
Es gibt viele Möglichkeiten, Deinen Atem zu beobachten. Eine Auswahl davon findest Du hier:
Heute kannst Du in dieser Übung Deinen Atem beobachten. Welche Methode der Atembeobachtung Du wählst, ist ganz Deine Entscheidung. Vielleicht probierst Du ein paar durch, vielleicht fällt Dir ganz spontan direkt ein, was Du machen möchtest. Und dann beobachte Deinen Atem.
Mit Beobachten ist gemeint, dass Du den Atem ganz frei fließen lässt. Der macht die ganze Arbeit auch ohne Dein Zutun. Du schaust nur zu, spürst in den Atem hinein. Versuche also nicht, den Atem irgendwie zu beeinflussen. So, wie Du atmest, ist es ganz richtig und gut. Du nimmst den Atem einfach nur wahr.
Wie bei allen Achtsamkeitsübungen geht es eigentlich nicht um den Gegenstand des Fokus (hier also den Atem), sondern darum zu erkennen, wenn Du Deinen Fokus verlierst. Plötzlich schieben sich wieder Gedanken in Deine Wahrnehmung, Aufgaben, Bilder aus der Vergangenheit, Sorgen... durch Deinen Fokus wirst Du das Abschweifen irgendwann erkennen: vielleicht wolltest Du bis zehn zählen - als Du bei 32 bist, fällt Dir auf, dass Du die zehn verpasst hast.
Dann nimm annehmend wahr, dass Du bei 32 bist und kehre zurück zu Deinem ursprünglichen Fokus. Reagiere also so, wie Du in der Achtsamkeit immer bei Störungen reagieren kannst (siehe Umgang mit Störungen).
Beobachte Deinen Atem gerne einige Minuten lang. Du kannst Dir dazu auch einen Wecker oder Timer stellen. Starte klein, also vielleicht mit vier Minuten. Und wenn Du magst, dann mache diese Übung regelmäßig.
Verlängere gerne ganz langsam und behutsam die Dauer Deiner Beobachtung. Den Atem zu beobachten, ist ein sehr guter Weg auf Deiner Forschungsreise und gleichzeitig ein Standardeinstieg in die
Meditation[1]. Ja, so einfach ist das.
Fröhliches Atmen!
Fußnoten:
[1]: Jede Achtsamkeitsübung ist eine Meditation. Bei der Meditation versucht man in der Regel nur länger achtsam zu sein.
Literaturverweise:
[JKZ] Kabat-Zinn, Jon: Zur Besinnung kommen. 4. Auflage. Freiamt im Schwarzwald : Arbor Verlag, 2011